Florenz ist überall?

Mitteilungsblatt 2020 KW 14

„Der Untergang wird kommen!“ In einer großen Stadt in Oberitalien hören und wissen es alle: die ansteckende Krankheit mit der tödlichen Wirkung lässt sich nicht aufhalten. Was sollen wir tun? Wie können wir uns schützen? Gibt es Rettung?
Nein – es geht nicht um Bergamo im 21. Jahrhundert. Die Stadt, um die es geht, hat Angst vor dem „schwarzen Tod“, der schrecklichen Pestepidemie, die im Mittelalter etwa 33% der lebenden Bevölkerung innerhalb weniger Jahre getötet hat. Es geht um Florenz, eine der damals größten und reichsten Städte in Europa. Wir können heute den Schrecken gut verstehen, der die Verantwortlichen damals befallen hat. Können wir uns noch wehren gegen die Krankheit? Gibt es eine Lösung? Oder sind wir dem Schicksal ausgeliefert? Haben wir noch eine Chance oder sind wir verloren?
Noch gab es einige Tage Zeit. Noch hatte die Krankheit das Gebirge nicht überwunden – aber es war nur eine Frage von Wochen. Was also tun? Etwas fiel den Verantwortlichen auf in den schrecklichen Berichten vom „schwarzen Tod“: es waren vornehmlich die Armen, die zuerst gestorben sind. Je ärmer die Leute, desto eher kam die Pest zu ihnen. Und dann hatte einer eine Idee: Können wir nicht der Krankheit ein Schnippchen schlagen? Wir können doch die Armen besser versorgen – vielleicht klappt das ja. Und mangels Alternativen begannen damals die Reichen in Florenz, für die Armen zu sorgen: Sie brachten ihnen Essen und Getränke, kümmerten sich um die Kranken und hoben so – ohne es zu wissen – die hygienischen Standards in der Stadt soweit an, dass 60% mehr Menschen in Florenz die Pest überlebten als in allen anderen Städten des Mittelalters.
Was für eine merkwürdige und schöne Geschichte! Und wie sehr stimmt das heute noch: wenn alle nur an sich denken, wird das Klopapier knapp und die Menschen begegnen sich mit Misstrauen und in Feindseligkeit. Wenn wir aber lernen, gerade auf die zu achten, die zu den „Armen“ gehören, dann wächst der Zusammenhalt und die Menschlichkeit unter uns. Wie gut, wenn diejenigen, die früher über „Gutmenschen“ meinten herziehen zu müssen, heute eine gute Nachbarin und einen guten Nachbarn haben, der für sie einkauft und Kontakt hält. Wie gut, dass „Merkel muss weg!“ nicht Wirklichkeit geworden ist und dass neben Frau Merkel viele andere in den kommunalen Verwaltungen und den staatlichen Stellen ebenso ihren Mann / ihre Frau stehen wie die vielen Menschen im Gesundheitswesen, in den Geschäften, in den (geschlossenen) Schulen, in den Familien etc. Und wie gut, dass es in großer Selbstverständlichkeit nachbarschaftliche Hilfe unter uns gibt, gemeinsames Musizieren über den Gartenzaun hinweg, ein gutes Wort, eine freundliche Geste, eine unterstützende Hilfeleistung, ein freundliches Telefonat…
Viele haben Sorgen um die eigene Zukunft, um das Wohnergehen von Eltern und Großeltern, um die Perspektive für unser Land und für die Wirtschaft. Aus allem, was wir über frühere Epidemien wissen, lässt sich aber ein gutes Fazit ziehen: Florenz ist überall! Es gab zu allen Zeiten und in allen Krisen eine Zunahme der Hilfe für andere! „Die Mitmenschlichkeit scheint unausrottbar! Besonders in Krisen…“ So formuliert es ein Historiker, der über Krisen und Epidemien geforscht hat. Es ist gut, wenn wir aufeinander achthaben und Sorgen miteinander teilen. Die Last wird dadurch nicht kleiner, aber sie wird im wahrsten Sinne des Wortes erträglicher, also leichter zu tragen und zu ertragen. Das gilt besonders für die „Armen“, die zurzeit besonders schwer betroffen sind. Wie gut, wenn wir Hilfe leisten und Hilfe annehmen können. Wie gut, dass Mitmenschlichkeit gerade in diesen Zeiten das Normale ist und wieder wird.
Wir wünschen allen – und nicht zuletzt auch den Flüchtlingen, die unter uns wohnen – gute Nachbarn und gute Gesundheit an Leib und Seele. Und wir wünschen denen, die gerade jetzt besonders gefordert sind, viel Kraft für ihre Aufgaben. Danke, dass ihr für uns das seid! Wir werden tun, was für uns und für euch am besten ist: wir bleiben bis auf weiteres zu Hause.

 

 

Matthias Vering