Ende Gelände?

Mitteilungsblatt 2020 KW 15

Wie still es hier nun ist. Keine Kinder auf der Schaukel, keine telefonierenden oder Fußball spielenden Jugendlichen, keine Fahrräder vor dem Eingang, keine Frauen beim Plaudern, keine Männer, die gemeinsam rauchen und reden. Die Container zwischen Kronau und Bad Schönborn, die in den letzten Jahren viele Flüchtlinge aufgenommen haben, sind leer und werden abgebaut.
Es ist den örtlichen Verwaltungen gelungen, Wohnraum zu finden, in denen die Flüchtlinge nun mitten unter uns wohnen und leben werden. Das wurde entschieden und umgesetzt lange bevor Corona unser Leben so sehr geändert hat, aber aus heutiger Sicht war es eine mehr als glückliche Entscheidung, denn Kontaktsperre in den Containern wäre wohl kaum möglich gewesen.
Damit schließt sich ein Kapitel in der Ortschronik von Bad Schönborn und Kronau, dass beide Orte alles in allem mit Bravour gemeistert haben. Als Flüchtlingshilfe haben wir versucht, die Organisation zu übernehmen von den vielen, die bereitwillig und mit langem Atem dafür gesorgt haben, dass die Herausforderung der Flüchtlingskrise von 2015 gut gemeistert wurden. Mit dem Erstbezug kamen über 180 Menschen zu uns, die alle nicht freiwillig hier bei uns waren, sondern die aus guten Gründen (und meistens der Kinder wegen) geflohen waren und bei uns Unterstützung und Sicherheit suchten. Dass in den folgenden Jahren vieles gut gelungen ist, ist vielen Menschen zu verdanken: den Hauptamtlichen vor Ort, in den Kommunen, im Landratsamt, den vielen Ehrenamtlichen bei den Sprachkursen, der Schülerbetreuung, den Mal-, Schwimm-, Bastel-, Kunst-Kursen und vielen weiteren Angeboten, den vielen Menschen in Vereinen und Kirchengemeinden, die Platz hatten für Flüchtlinge und durch die die Integration oft sehr gut gelungen ist.
Dann, nachdem der erste Ansturm gut bewältigt war, kam die Phase der Normalität. Jetzt verschon sich die Unterstützung von der Linderung der Not zur guten nachbarschaftlichen Hilfe. Es wurden viele Kontakte geknüpft und insbesondere das Thema Arbeit und Ausbildung kam in den Blick. Auch hier wurde viel Gutes erreicht. Wir sind als Flüchtlingshilfe sehr stolz darauf, sowohl von der Gemeinde in Bad Schönborn als auch von der Gemeinde in Kronau für unsere Arbeit ausgezeichnet worden zu sein. Und wir sind stolz darauf, dass es gelungen ist, das Flüchtlinge kein „Problem“ geworden sind, sondern dass wir gemeinsam uns für Lösungen eingesetzt haben, die langfristig tragfähig sind. Wie gut, dass viele mitgeholfen haben und immer noch dabei sind, zu helfen, wo es notwendig ist. Und wie gut, dass diejenigen, die meinten den Untergang des Abendlandes prophezeien zu sollen und die zum Teil offen gehetzt haben gegen die „Fremden“ sich als das erwiesen haben, was sie sind: eine lautstarke Minderheit. Zwar eine lautstarke Minderheit, aber eine zum Glück verschwindend kleine Minderheit. Gut, dass wir uns aufeinander verlassen können – in Zeiten von Flüchtlingskrisen ebenso wie in Zeiten von Ausgangssperre und Corona-Pandemie.
Karl Barth, der große Theologe und Mitglied der Bekennende Kirche in der Nazizeit sagt es einmal pointiert so: „Wer kein Mitmensch ist, ist Unmensch.“ Wir danken allen in Bad Schönborn und in Kronau, die anderen zum Mitmenschen geworden sind und so der vermeintlich zunehmenden Unmenschlichkeit Einhalt geboten haben. Es geht nicht um „Gutmenschen“, wie mancher die Menschen etwas verächtlich tituliert, die sich engagieren, es geht um unsere „Mitmenschen“. Und Mitmenschlichkeit meint eben alle Menschen, nicht nur einen Teil der Menschen. Spätestens in der Corona-Krise lernen wir, wie wir auf die Mitmenschlichkeit anderer angewiesen sind und wie gut es für uns ist, anderen zum Mitmenschen zu werden. Unser Dank gilt allen, die im Moment „den Laden am Laufen halten“. Unser Dank gilt ebenso allen, die in den letzten Jahren dazu beigetragen haben, dass die Situation der Menschen, die die Container bewohnt haben, nicht eskaliert ist. Das bleibt weiter unsere Aufgabe: Mitmensch zu bleiben und immer wieder neu zu werden.

Matthias Vering